Warum Primaten masturbieren

Liebe Leser, die "es" tun, und alle anderen,

Forscher haben sich gefragt, warum Primaten masturbieren. Das Wort stammt vermutlich aus dem lat. manu bzw. manibus turbari ("sich mit der Hand reizen"). Aus evolutionärer Sicht werden dadurch Resourcen (vor allem bei Männchen) vergeudet sowie Zeit bzw. Aufmerksamkeit, also muss es andere Vorteile haben, die diese Resourcenvergeudung aufwiegen. "Weil es einfach Spaß macht", diese einfache Möglichkeit lassen die meisten Forscher nicht gelten, denn in der Natur werden so gut wie nie Resourcen nur aus Spaß vergeudet! Außerdem erklärt die Spaß-Theorie nicht, warum man bei vielen Tierarten eine Häufung der Masturbation vor und nach herkömmlichen Paarungen beobachten kann, sondern man würde dann eine eher gleichmässige Verteilung erwarten.

Diese Art der sexuellen Aktivität findet sich nämlich bei etlichen Tierarten, z.B. Hunden, Walrossen, Walen, Kühen, Pinguinen, Vögeln, Elefanten, aber besonders eben bei Primaten, unseren nächsten Verwandten (1). Man hat einen Schimpansen in Uganda dabei erwischt, eine Plastikflasche als "Sexspielzeug" benutzt zu haben (2), und Große Tümmler benutzen Abflussrohre (3)! Weibliche Schimpansen wurden dabei beobachtet, wie sie aus Holzstückchen Dildos bastelten und sich einführten (4). Es ist auch kein Artefakt der Gefangenschaft und passiert oft beiläufig, scheint also auch nichts mit Stressbewältigung oder Übersprungshandlungen zu tun zu haben.

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https://commons.wikimedia.org/

Historische Theorien, wonach es sich um ein pathologisches Verhalten handelt, werden heute nicht mehr vertreten. Dass es sich um ein blosses unvermeidliches Nebenprodukt des "sexuell erregbar sein Müssens" handelt, das keinerlei Fitness Benefit (im evolutionären Sinn) hat, ist durchaus möglich, erklärt aber auch nicht die folgenden Befunde.
Da wir Tiere nicht fragen können, kann man letztlich nur spejakulieren. Und das hat man ausgiebig getan (das Spekulieren meine ich)!

Eine gängige Theorie ist, dass durch häufigere Ejakulationen die Spermienzahl zwar verringert wird, aber die Spermienqualität erhöht, denn eine längere Verweildauer der produzierten Spermien erhöht die Zahl an DNA-Schäden. Das wurde 2007 auch experimentell beim Menschen, an Paaren mit Kinderwunsch, bestätigt (5). Es scheint also nachkommenstechnisch vorteilhaft zu sein, durch regelmässiges "Ablassen" von altem Sperma dieses "frisch" zu halten. Dazu passt auch, dass in einer Arbeit gezeigt wurde, dass die Autoerotik besonders häufig vorkam in Affengruppen mit vielen Männchen, wo also die sperm competition besonders hoch war und dass bei japanischen Makakengruppen (die eine Paarungszeit haben) besonders oft Hand angelegt wurde während der Paarungszeit und fast nicht davor oder danach (5). Letzteres kann natürlich auch (wie so oft in der Verhaltensforschung) andere Gründe haben (ev. sind die Äffchen auch, hormonell bedingt, einfach geiler während der Paarungszeit). Beobachtet wurde auch, dass Makaken, die im sozialen Ranking eines Rudels nicht so weit oben standen, sich öfter selbst befriedigt haben, als die, die beim anderen Geschlecht öfter zum Stich gekommen sind.
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https://www.psychologytoday.com/us/blog/how-we-do-it/201711/masturbation-self-abuse-or-biological-necessity

Es scheint auch so zu sein, dass bei bestimmten Affenarten die (nichtejakulatorische) Masturbation das Absch(l)iessen bei anschliessenden Paarungsakten beschleunigt und zum Teil auch die Ejakulatmenge erhöht. Das ist sehr nützlich, wenn - wie dort üblich - jederzeit der Sex unterbrochen werden kann, weil ein ranghöheres Männchen das gleiche Weibchen begatten will!

Eine andere Theorie ist die "pathogen avoidance"-Theorie. Das Beseitigen von koital erworbenen Keimen durch diverse Verfahren (orale Reinigung sofern möglich, urinieren, etc.) ist bei vielen Tierarten beschrieben. Daher könnte auch Onanie nach Kopulation dazu dienen, eventuell beim Akt aufgeschnappte Krankheitserreger durch Ejakulation loszuwerden. Es zeigte sich nämlich in einer Arbeit (1), dass es eine hohe Korrelation gab zwischen der Parasitendichte und der Masturbationsrate, allerdings nur bei Männchen, nicht bei Weibchen. Auch von Borstenhörnchen weiß man, dass diese direkt nach der Kopulation masturbieren (4), daher wird hier auch ein reinigender Effekt vermutet.

Bei Weibchen erhöht die Eigenerotik den vaginalen pH-Wert und kreiert so eine "gastfreundliche" Umgebung für potentielle Spermien - aber auch für Krankheitserreger (daher ist das Scheidenmileu auch üblicherweise leicht sauer). Aber über die weibliche Masturbation bei Primaten weiß man um Einiges weniger, zum Teil weil sie weniger beobachtet wird und aus historischen Gründen (es gibt weit weniger Studien mit diesem Fokus).

Und wie ist es beim Menschen? Über den frühen Menschen weiß man natürlich gar nichts mangels schriftlicher Aufzeichnungen. In der Antike war man da relativ freizügig (obwohl es durchaus auch Kritiker gab), erst im Mittelalter war es insb. die katholische Kirche, die die "Selbstbefleckung" als Sünde betrachtete. Aber erst ab 1712 blühte die Masturbationsphobie regelrecht auf, mit dem Erscheinen des anonym veröffentlichten Pamphlets "Onania: The Heinous Sin of Self-Pollution and All its Frightful Consequences (in Both Sexes) Considered with Spiritual and Physical Advice to Those who have Already Injured Themselves by This Abominable Practice". Es verbreitete sich in ganz Europa und darin wurde ernsthaft behauptet, vom Masturbieren könne man Pocken oder Tuberkulose bekommen - und es wurde geglaubt! Heute vermutet man, dass das Buch von einem geschäftstüchtigen Quacksalber geschrieben wurde, der auch gleichzeitig ein von ihm erfundenes „Heilmittel“ gegen die durch die Masturbation entstandenen Krankheiten verkaufte (6)!
Damals sagte man übrigens eher "Onanie" dazu, was eigentlich eine falsche Bezeichnung ist, denn Onan aus der Bibel (Genesis 38,9) onanierte nicht, sondern liess im Rahmen eines Coitus interruptus "den Samen zur zur Erde fallen und verderben". Onan wurde von Gott nicht wegen der Masturbation bestraft (was er ja gar nicht getan hatte), sondern wegen des Nichtvollzugs der damals im Judentum vorgeschriebenen Ehe mit der Witwe seines verstorbenen Bruders, um ihr Nachkommen zu zeugen (die sie im Alter versorgen und den Namen des Bruders weiterbestehen lassen sollten). Warum die Kirche diese Sünde umänderte auf das Masturbieren, darüber kann man sich nur wundern. In dieser Beziehung sind der Islam und das Judentum aber auch nicht besser.

Aber auch echte Ärzte wie der Schweizer Arzt und Mitglied der Royal Society in London Simon-André-David Tissot (1728-1797) verbreiteten den Mythos und fügten zu den Auswirkungen der "Selbstschändung“ Krankheiten wie Erblindung, Epilepsie und Paralyse hinzu. Für Immanuel Kant (1724-1804) war Selbstbefriedigung schlimmer als Suizid (7).
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https://www.psychologytoday.com/us/blog/how-we-do-it/201711/masturbation-self-abuse-or-biological-necessity

Erst nachdem durch Robert Koch im Jahr 1882 herausgefunden wurde, dass die Tuberkulose durch Bakterien verursacht wird, behaupten die Ärzte nicht mehr, dass Masturbieren "Schwindsucht" hervorruft. Trotz Aufklärung in vielen Bereichen blieb die Stigmatisierung der Masturbation aus pseudo-moralischen und -religiösen Gründen bestehen, bis weit ins 20. Jahrhundert! Auch der (leider komplett überschätzte) Sigmund Freud (1856-1939) betrachtete Masturbation als angebliche Ursache "neurotischer Erkrankungen" (5). Dass Akne häufig bei Jugendlichen vorkommt und gerade Jugendliche häufig masturbieren, ist zwar nur eine Scheinkorrelation, die sich aber hartnäckig bahaupten konnte. Erst in den 1970er Jahren begann ein Umdenken und man erkannte zunehmend die positiven Auswirkungen auf Körper und Psyche (8). So war z.B. in einer großen epidemiologischen Studie (2004 publiziert) bei Männern mit häufigeren Ejakulationen (jedweder Art) das Risiko für Prostatakrebs reduziert (9).

Quellen:
(1) https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2023.0061
(2) https://nypost.com/2021/09/29/horny-chimp-masturbating-with-a-sex-toy-could-be-a-first-study/
(3) https://www.welt.de/lifestyle/article5563345/Tuemmler-tun-es-auch-mit-einem-Abflussrohr.html
(3) https://www.tierwelt.ch/artikel/wildtiere-zoo/nicht-nur-der-mensch-macht-es-sich-selbst-455499
(4) https://www.psychologytoday.com/us/blog/how-we-do-it/201711/masturbation-self-abuse-or-biological-necessity
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Masturbation
(6) https://my.clevelandclinic.org/health/articles/24332-masturbation
(7) https://www.zeit.de/2008/17/Interview-Laqueur/seite-4?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
(8) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27033442/
(9) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/j.1743-6109.2009.01677.x

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https://www.tierchenwelt.de/news/3371-verhalten-von-primaten-gibt-hinweise-auf-entstehung-von-humor.html



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Darf ich die Vermutung äußern, dass Lebewesen einfach nur den Spaß an der Freude genießen wollen?
Warum tagelang etwas Unerreichbarem hinterherhecheln, wenn die Erleichterung so greifbar nahe ist?
Egal, ob Fauna oder Flora – Samen wird sekündlich weltweit in Unmengen verschleudert. Meist gilt die Regel: Wenn es nicht anders geht, dann eben so.
Ich finde das vollkommen in Ordnung und kein Wissenschaftler sollte sich darüber weiter den Kopf zerbrechen - außer er findet einen Sponsor, der ihm seinen geistigen Erguss finanziert. -:)

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Wissenschaftler zerbrechen sich gerne den Kopf über die absurdesten Dinge (z.B. das "Pechtropfenexperiment").
Die dabei entstehenden geistigen Ergüsse - sehr treffend 😂!

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Mit wie viel Hochmut, Arroganz und Überheblichkeit muss jemand durch den Alltag schreiten, wenn er nicht davor zurückschreckt, einen solchen Erguss zu veröffentlichen? Jedenfalls liegt ein weiterer Beweis nun vor, dass irre sein, doch etwas mit Irland zu tun haben könnte.
Mein Vorschlag: rigorose Gehaltskürzung wg. Volksverarschung. Als Anmerkung beigefügt: Pech gehabt!

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Sieht aus wie ich, lol

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@chillmaw, sorry! You need more $ALIVE staked to use this command.

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Was ein Thema! Aber ich bedanke mich konnte wieder viel lernen, was ich so gar nicht erwartet hätte. Egal was du postest besteht wirklich ein mehrwert da und die Quellen die du angibst sind wirklich sehr interessant.

Bis bald!

LG Michael

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As we all know that every guy has this habit but quitting it has many benefits to a person you and all guys should think about it and quit this habit.

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Haha.gut geschrieben. Interessantes thema. Vielleicht ist eine Kombination von allen den Vorteilen. Nur

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