Warum E-Sport die Unterhaltungsindustrie erobern wird (Teil 1)

avatar

image.png

von Jon Miltimore

Wir schreiben den 19. Oktober 1972. Rund zwei Dutzend Menschen drängten sich in einen schlecht beleuchteten Raum des Artificial Intelligence Laboratory der Stanford University, um einer Gruppe von Studenten beim Spielen eines Videospiels zuzusehen.

Die meisten kamen wegen des Freibiers, doch andere wollten einen geschichtsträchtigen Moment miterleben, da dort die erste "Intergalactic Spacewar Olympiade" stattfinden sollte. Vor Ort waren auch Stewart Brand von Rolling Stone und die Fotografin Annie Leibovitz, welche die Veranstaltung dokumentieren sollten.

Gespielt wurde das Spiel Spacewar!, ein Videospiel, das ein Jahrzehnt zuvor vom MIT-Studenten Steve Russell entwickelt worden war und bei dem zwei Schiffe, "The Needl " und " The Wedge ", gegeneinander kämpfen, während sie um einen Gravitationsspalt kreisen.

Am Ende gewann Bruce Baumgart den Free-for-all-Wettbewerb, während zwei andere Studenten den Teamkampf gewannen. Was war der Preis, den sie für ihren Sieg erhielten? Ein Jahresabo des Rolling Stone!

Ein Überblick über die Gaming-Industrie

Bei diesem Spacewar! Turnier in Stanford handelt es sich um den ersten Videospielwettbewerb überhaupt.

Auch wenn Spacewar! zu jener Zeit wahrscheinlich das fortschrittlichste Videospiel der Welt war, haben wir seitdem einen weiten Weg zurückgelegt - und das nicht nur im Hinblick auf die technische Qualität der Spiele. Niemand wird leugnen, dass Star Wars Jedi: Fallen Order und Call of Duty: Modern Warfare unglaublich gut aussehen, doch die Industrie als Ganzes hat sich wesentlich stärker gewandelt als die Grafik.

Heute ist die Videospielindustrie etwa $120 Milliarden schwer und damit größer als Hollywood und die Musikindustrie. Gemessen am Jahresumsatz stellen sie den Umsatz der drei großen Sportarten zusammengenommen in den Schatten: NFL (15 Milliarden Dollar), MLB (10 Milliarden Dollar) und NBA (8 Milliarden Dollar). Zwar haben im vergangenen Jahr 98 Millionen Menschen den Super Bowl gesehen, aber Videospiele werden von schätzungsweise 211 Millionen Amerikanern gespielt, also nahezu 70 Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Alleine Minecraft hat 2019 mehr als 100 Milliarden YouTube-Aufrufe verzeichnet.

Jeder weiß, dass Videospiele populär sind, das ist bekannt. Schließlich haben wir Berichte über Gamer gesehen, die 500.000 Dollar im Monat einnehmen, und Reportagen über Fortnite-Lehrer (ja, die gibt es tatsächlich).

Doch trotz der enormen Beliebtheit von Videospielen sind sie nicht im Fernsehen präsent. Auch dies dürfte sich bald ändern.

Gaming-Wettbewerbe, damals und heute

Wer The King of Kong gesehen hat weiß, dass es derartige Turniere schon seit langem gibt. In der Dokumentation von 2007 war der Spieler Steve Wiebe zu sehen, wie er in Donkey Kong eine Million Punkte verbuchen und den amtierenden Champion Billy Mitchell entthronen wollte, ein Unterfangen, das Jahre dauerte.

Mitchell wurde, aufgrund seines offensichtlichen Fehlverhaltens, im Jahr 2018 seines Rekords beraubt und auf Lebenszeit gesperrt*. Turniere dieser Art waren heftig und hart umkämpft, doch nur selten wurde ein großes Preisgeld ausgesetzt. Zwar zogen die Wettbewerbe manchmal ein paar Tausend Zuschauer an, aber die Idee, sie im Fernsehen zu übertragen, war größtenteils undenkbar.

Der Wandel durch Online-Streaming

Spacewar! zeigt, dass Videospiele von Anfang an im Multiplayer-Modus gespielt wurden. Online-Streaming brachte jedoch die Multiplayer-Erfahrung zu neuen Höhen. Zwar erlaubten Spiele wie GoldenEye 007 Multiplayer-Kämpfe aus der Ego-Perspektive, aber sie fanden auf einer einzigen Konsole statt, was die Erfahrung minderte. Wer auf die Seite des Gegners schaute, konnte einfach sehen, wo dieser sich gerade befand.

Über Online-Multiplayer wurde die Erfahrung verbessert, und Menschen aus der ganzen Welt - aus Korea, Brasilien, den USA und Russland - hatten die Möglichkeit, aus der Distanz gegeneinander anzutreten. Die Folge war eine Welle von Multiplayer-Spielen - insbesondere Ego-Shooter-Spiele wie Halo, COD und Fortnite sowie Echtzeit-Strategiespiele wie Warcraft III, Age of Empires und Starcraft. Dadurch wurde das Spielerlebnis auf eine neue Ebene gehoben. (Ich kann aus Erfahrung sprechen. Age of Empires wurde an der Universität zu einer persönlichen Besessenheit meiner selbst. Als ich älter wurde, kam ich mir zu cool für Videospiele vor... bis 2009 Modern Warfare 2 veröffentlicht wurde.)

Das Internet hat jedoch nicht nur das Spielerlebnis verändert. Auch die Ökonomie, insbesondere Wettbewerbe und Preisgelder, haben sich mitgewandelt. Die Tage, an denen man an einem Turnier teilnahm, um 26 Jahre lang Quiznos-Sandwiches zu gewinnen, waren (größtenteils) vorbei.

Wer heute das richtige Turnier gewinnt, hat für sein Leben ausgesorgt. Alleine die Firma Epic Games, der Hersteller von Fortnite, hat in den letzten zwei Jahren bei Turnieren Geldpreise in Höhe von 200 Millionen Dollar verlost. (Dies ist nichts im Vergleich zu den $3 Milliarden, die Epic Games pro Jahr an Gewinnen einstreicht). Der Gamer Kuro "KuroKy" Takhasomi aus Deutschland hat in einem einzigen Jahr 2,4 Millionen Dollar bei Turnieren eingespielt. Diese Summen sollten jedem ins Auge springen. Doch was hat sich geändert?

Der Erfolg von Esports

DIe Houston Astros schrieben 1980 Geschichte, als sie dem Pitcher Nolan Ryan ein Jahresgehalt von 1 Million Dollar zahlten, ein damals unerhörter Betrag. Unter Berücksichtigung der Inflation war Ryans Gehalt viermal so hoch wie das der Yankees-Legende Mickey Mantle für das Jahr 1963.

Man weiß, wie das passiert ist. Die MLB hatte jahrelang befürchtet, dass das Radio (und später auch das Fernsehen) ihr Geschäft untergraben würde, weil es den Kartenverkauf am Tor reduzieren würde. Mit der Zeit erkannten die Verantwortlichen jedoch, dass die Nachfrage nach ihrem Produkt ihnen beides ermöglichte, und bis 2001 hatten die Medieneinnahmen (Fernsehen und Radio) die Einnahmen der Stadien übertroffen. Aus diesem Grund sollte es nicht verwundern, dass Alex Rodriguez von den Texas Rangers in jenem Jahr 22 Millionen Dollar pro Jahr einnahm, sieben Mal so viel wie Ryan 1980 (inflationsbereinigt) bezahlt wurde.

Diese Anekdote ist relevant, da Wissenschaftler glauben, dass Technologie und Sport untrennbar miteinander verbunden sind. Zahlreiche Experten haben argumentiert, dass das Radio Baseball als liebstes Hobby der Amerikaner verankert hat, so wie das Fernsehen es mit dem Football wiederholte, der wesentlich visueller ist.

Für die meisten Menschen sind Videospiele kein "Sport". Allerdings kann man nicht bestreiten, dass Videospiele in hohem Maße wettbewerbsorientiert sind oder dass die Menschen einen intensiven Appetit auf Wettbewerb und visuelle Unterhaltung haben. Egal, ob man Videospiele als "Sport" betrachtet, ist es offensichtlich, dass sich das Spielen von einer bloßen Aktivität zu einer weit verbreiteten Form der passiven Unterhaltung entwickeln wird.

In der Tat könnte man argumentieren, dass dies bereits jetzt der Fall ist.

Zwar hat der durchschnittliche Amerikaner noch nie etwas von Twitch gehört, einer Website, die zu Amazon gehört und auf der in erster Linie Live-Videospiele gestreamt werden, aber vor kurzem verzeichnete die Seite eine Milliarde Zuschauerstunden in einem einzigen Monat (August 2019). Was die Zahl der Besucher angeht zeigt das Analysetool Alexa Twitch vor Twitter und eBay. (Auf YouTube haben zudem 83,4 Millionen Nutzer den Gaming-Kanal abonniert).

Die vorliegenden Zahlen verdeutlichen den unersättlichen Appetit auf Videospiele als passive Unterhaltung und helfen zu erklären, warum die Spieler plötzlich sechs-, sieben- und sogar achtstellige Summen mit nach Hause nehmen.

Anders als bei Turnierauszahlungen werden Twitch-Spieler auf der Grundlage der Anzahl der Personen bezahlt, die ihren Kanal abonniert haben. Wenn ein Zuschauer 4,99 Dollar für ein Abonnement zahlt, geht die Hälfte davon an den Spieler. Erreicht ein Spieler 3.000 Abonnenten, sind das etwa 90.000 Dollar pro Jahr. Doch die besten Gamer verdienen in einem einzigen Monat mehr als das.

Den Spielern, Veranstaltern und Werbetreibenden ist klar geworden, dass es eine unersättliche und wachsende Tendenz gibt, Videospiele nicht nur zu spielen, sondern sie auch als "E-Sport" anzusehen.

This article was first published on FEE and licensed under Creative Commons Attribution 4.0 International License. The author of this article is Jon Miltimore. It was translated by @orionvk. The image used is in the public domain.



0
0
0.000
0 comments