Mensch und Natur II - Vom Jäger zum Bauern

Liebe Leute,
ich hatte früher schon mal darüber geschrieben, wie sich unsere Vorfahren allmählich zum Homo sapiens entwickelt hatten und welche Rolle die Natur und insb. der Wald dabei gespielt hatten (1). Heute will ich näher eingehen auf den interessanten Wechsel vom Jäger und Sammler zum Bauern, also quasi "von der Natur zur Kultur", die Gründe dafür und die Folgen, die das mit sich brachte.

Jäger und Sammler

Leider weiß man heute nicht mehr viel über diese Zeit. Der Name "Steinzeit" sagt schon, dass sich aus dieser Zeit hauptsächlich Steine bis heute erhalten haben (und Knochen). Wenn Holz auch die Zeit überdauert hätte, wäre sie vermutlich Holzzeit genannt worden. Vergleiche mit heutigen Jäger und Sammler-Gesellschaften sollten nicht angestellt werden, die diese durch Kontakt und Handel mit der "Zivilisation" nicht mehr ursprünglich sind.
Jedenfalls lebten diese Menschen in einer "Naturlandschaft", obwohl sie diese selbst (wenn auch nicht absichtlich) mitgestaltet haben (Flächenbrände für Jagd auf Großwild, aber auch steinzeitliche Brandrodungen im trop. Regenwald).
Die Jäger und Sammler lebten aber in genügend kleinen Gruppen, sodass sich die natürlichen Resourcen (z.B. Tierherden) erholen konnten und Rodungsstellen wuchsen innerhalb von wenigen Jahrzenhten wieder komplett zu, nachdem die Gruppen weiterzogen.
Die Gruppengröße war meist bei weniger als 50, mehrere Familien lebten dabei zusammen. Je nach Breitengrad (=Länge der Vegetationsperiode) gab es einen saisonalen Flaschenhals bei der verfügbaren Nahrungsmenge, der die Grenze für die Populationsgröße bestimmte (2). Im Winter Nordeuropas etwa, wenn kaum Pflanzen zur Verfügung standen, war Fleisch die einzige Nahrungsquelle. Aber auch in der Savanne galt: Eine Bevölkerungsexplosion hätte zu Überjagung und damit zur Vernichtung der Lebensgrundlage geführt. Daher waren Innovationen eigentlich evolutionär nicht begünstigt, was ein möglicher Grund dafür war, dass diese Periode knapp 3 Millionen Jahre gedauert hatte, ohne nennenswerte Weiterentwicklung auf technischem Gebiet. Lediglich die Nutzbarmachung von Feuer vor ca. 1 Mio. Jahren war ein Meilenstein in der Geschichte. Erst über 900.000(!) Jahre später (als das Gehirn sich genügend weiterentwickelt hatte?), vor ca. 80.000 Jahren entstanden dann technische Entwicklungen wie Hammer, Bohrer, Klebstoff (Birkenpech), Messer etc. und erst vor ca. 25.000 Jahren wurden Keramik, Feuerzeug und Pfeil und Bogen erfunden (3).
Die Kontrolle der Bevölkerung passierte dabei nicht nur durch natürliche Autoregulation (verringerte Fruchtbarkeit durch Streß und Fettmangel (Wildtiere haben wenig Fett!), lange Stillzeiten (in Ermangelung von anderer Kleinkindnahrung (Kuhmilch gab es nicht)), sondern auch durch geschlechtsspezifische Kindstötungen (4). Ja, die naturschutzmässig so vorbildlichen "edlen Wilden" waren für unsere Verhältnisse grausam. Auch Alte und Behinderte wurden zurückgelassen, wenn es die Situation erforderte. Mobilität war lebensnotwendig. Ein hoher Preis, den man für das Überleben in einem intakten Ökosystem zahlen musste!
Nichtsdestotrotz hatten die Menschen der Steinzeit schon religiöse bzw. spirituelle Vorstellungen, wie die vielen Frauenstatuetten nahelegen, die auf Fruchtbarkeitsriten hindeuten. Die "Venus von Willendorf" ist ca. 30.000 Jahre alt und fällt somit in die Periode, in der es zunehmend kälter in Europa wurde (5).
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CC BY-SA 4.0, Quelle

Die neolithische Revolution

Dann, vor ca. 10.000 Jahren passierte etwas Spannendes: Der Übergang zur Sesshaftwerdung und Landwirtschaft. Mit weitreichenden Folgen für die Menschen und die Landschaften, in denen sie lebten!

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@ Deutsche Bibelgesellschaft, Quelle

Durch das Anbauen von Pflanzen und das Halten von Tieren stieg die Bevölkerungszahl dramatisch, aber die Sesshaftwerdung hatte auch ihren Preis: Zum ersten Mal musste wirklich geschuftet werden. Ackerbau ist weit mühsamer als Jagen und Sammeln. Man fand in neolithischen Skeletten erstmals degenerative Veränderungen an Knochen und Gelenken durch Verschleiß. Die Ernährung wurde einseitiger, und der enge Kontakt mit dem Vieh führte zu Infektionskrankheiten und ersten Epidemien (heute noch als "biblischen Plagen" bekannt)(1). Man schätzt, dass 80-90% der Bevölkerung Bauern waren und im Schnitt weit mehr Stunden pro Tag arbeiteten als die Jäger und Sammler.

Wieso kam es überhaupt dazu? War der Bevölkerungsanstieg möglich durch eine spontane Kette an Innovationen, wie man zunächst optimistischerweise glaubte? Oder war es die Reaktion auf akuten, demographisch bedingten Resourcenmangel oder das Abdrängen rivalisierender Stämme in Gebiete, die weniger Jagderfolg verhiessen, was produktivitätssteigernde Innovationen erst notwendig machte? Oder waren es psychologische Effekte, wie charismatische und/oder innovativer Anführer (unter den egalitären Jäger und Sammlern weitgehend unbekannt), die ihre Gruppe zur Produktion von Überschüssen antrieben, um besser dazustehen als die anderen, um Profit aus Handel zu generieren oder um Status und Wohlstand zu erringen?

Man weiß es bis heute nicht. Jedenfalls war der evolutionäre Vorteil einer Ackerbaugesellschaft gegenüber Jäger und Sammlern kein ausschlaggebendes Element für den Wandel, denn entgegen früheren Vermutungen lebten die Jäger und Sammler eine Zeit lang durchaus parallel mit den Bauern, teilweise heirateten Jäger/Sammler in Bauernfamilien sogar ein (nie umgekehrt, das wurde offenbar als sozialer Abstieg gesehen!) und Vertreter der beiden Gruppen wurden am gleichen Ort bestattet (6). Aufgrund von Funden in der "Blätterhöhle" in Deutschland nimmt man heute an, dass über 2 Jahrtausende eine friedliche Koexistenz von mesolithischen Jäger und Sammlergruppen und neolithischen Bauerngruppen in Mitteleuropa stattfand, bevor erstere allmählich verschwanden (7). Sogar 1500 n.Chr. bestand noch 1% der Weltbevölkerung aus Jägern und Sammlern (8).

Und wieso passierte dieser wohl fundamentalste Wandel der Menschheit an mehreren Orten (Eurasien, Amerika, China) fast gleichzeitig, nach einer jahrhunderttausendelangen stabilen Phase? Man vermutet das Ende der letzten Kaltzeit als den gemeinsamen Auslöser. Die globale Klimaänderung führte zu riesigen Überschwemmungen (Sintflut!), Änderungen von Land/Wasserflächen, einem Aussterben vieler Säugetierarten (Mammut, Wollnashorn, etc.) und machte altes Wissen relativ nutzlos. Es setzte eine Periode von starken Bevölkerungsschwankungen, Unsicherheit, aber auch Innovationsbereitschaft ein. Der Klimawandel stellte sich letztlich als Innovationstreiber heraus. (Auch heute könnte der Klimawandel Treiber für Innovationen sein, aber stattdessen will man das Rad der Zeit zurückdrehen und in Deutschland eine Deindustrialisierung als Lösung verkaufen. Aber das nur am Rande.)

Mit Grundbesitz, Arbeitsteilung und Berufen (Anführer, Handwerker (Töpfer, etc.), Bauer, Arbeitssklaven) entstanden auch erstmals soziale Schichten. Den neu entstandenen Unterschichten ging es dabei sogar schlechter als den Jägern und Sammlern, denn die Überschüsse wurden nicht gerecht auf alle verteilt, sondern die Umverteilung von unten nach oben war mit der Erfindung des "Unten" und "Oben" gleich mitdazuerfunden worden (4). Möglicherweise war das ein Grund dafür, dass beide Gruppen so lange koexistierten - dass das Eintreten in eine Bauernunterschicht für einen Jäger nicht interessant genug war.

Der naturverbundene Spiritualismus der Schamanen wurde abgelöst durch eine Priesterkaste, die die entstandene Ungerechtigkeit als gottgegeben rechtfertigte. Institutionalisierte Religion liegt nicht in der Natur des Menschen, sondern ist ein sozialer Kitt, der das Zusammenleben der Menschen in der ungewohnten Bevölkerungsdichte erleichterte.

Die negativen Folgen der neolithischen Revolution führten nicht zu einer Kehrtwende oder einer Mässigung, sondern die Lösungen wurde in weiteren Innovationen gefunden. Die einseitige, schädlingsanfällige Nahrung wurde in Keramikgefässen gelagert und konserviert (erhitzen, trocknen, räuchern, etc.), Teig aus Getreide vergoren und gebacken (Brot!) und mit Gewürzen wie Chili oder Knoblauch nicht nur haltbarer gemacht, sondern gleichzeitig Vitamin C hinzugefügt.
Die Domestikation von Tieren ging hand in hand mit dem Ackerbau. Um sich die mühselige Arbeit des Umackerns der Erde leichter zu machen, wurde der Pflug erfunden und damit ein Zusatznutzen für Rinder als Lasttiere. Der Hund ist das einzige Haustier, das schon Weggefährte der Jäger und Sammler war. Die wenigsten Tiere liessen sich domestizieren (nur Herdentiere eignen sich dazu, denn die haben einen Instikt, sich einem Leittier zu unterwerfen). In ganz Nord- und Mittelamerika gab es ausser dem Hund kein einziges (der Bison liess es nicht zu), und daher auch keinen Pflug und keinen Streitwagen.

Der durch harte Arbeit von Vielen teuer erkaufte Anstieg der Bevölkerungsdichte und der höhere materielle Wohlstand bzw. die erhöhte Nahrungsmittelsicherheit (Planbarkeit der Lebensmittelvorräte und damit weniger Angst, durch den Winter zu kommen) liessen eine Umkehr zu früheren Verhältnissen trotz aller Nachteile nicht mehr zu. Damit war auch der Übergang von einer nachhaltig bewirtschafteten "Naturlandschaft" zu einer Kulturlandschaft irreversibel. Die Ackerbaugesellschaft war allerdings auch nachhaltig, denn alles Getreide, Tierfutter und Holz stammte aus photosynthesebetreibenden Pflanzen, beruhte also auf Solarenergie. Dass man Felder brachliegen lassen musste, um sie nicht komplett auszulaugen, wusste man schon in der Antike. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte und "Modernisierung" ging allerdings der Fleischanteil in der Nahrung immer mehr zurück, denn immer mehr Menschen mussten ernährt werden bei gleicher Anbaufläche, und für Fleischnahrung braucht man 8x soviel Anbaufläche wie für pflanzliche Nahrung. Daher kam es insb. im 17. und 18. Jhd. oft zu Hungersnöten, da die Effizienz der Ackerbaugesellschaft am Limit war (synthetische Dünger waren noch nicht erfunden).

Die Zündung der nächsten Zivilisationsstufe vor ca. 250 Jahren, die wesentliche Produktivitätsverbesserungen brachte, war sozusagen längst überfällig. Mehr über die industrielle Revolution und den Umstieg auf fossile Energieträger demnächst...

Quellen:

(1) https://peakd.com/deutsch/@stayoutoftherz/der-wald-und-der-mensch-teil-1
(2) https://www.astropage.eu/2021/11/10/die-ernaehrungsweise-begrenzte-die-groesse-von-jaeger-und-sammlergruppen/
(3) GEO CHRONIK "Die hundert genialsten Erfindungen", Gruner + Jahr GmbH 2018
(4) Rolf Peter Sieferle "Rückblick auf die Natur", Landt Verlag 2020
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Venus_von_Willendorf#Einordnung
(6) https://sciencev2.orf.at/stories/1726399/index.html
(7) https://www.science.org/doi/10.1126/science.1245049
(8) http://ernaehrungsdenkwerkstatt.de/ernaehrungsforschungsraum/zeit/rueckblick-geschichte/ernaehrungsgeschichte/jaeger-sammler-zeit.html

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Sehr schön geschrieben. !BEER

die Populationsexplosion bzw. der Übergang in das exponentielle Wachstum finde ich sehr spannend, vor allem da es Mitte dieses Jahrhunderts enden könnte, je nach Projektion sogar schon 2030 und die Menschheit wieder kleiner werden könnte, wenn nicht sogar innerhalb der nächsten Generationen komplett zurück gesetzt wird.

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Zwischendurch war es ja mal fast vorbei.
Vor 70.000 Jahren als der Toba Vulkan ausgebrochen ist und einen 10 Jahre dauernden vulkanischen Winter ausgelöst hat, blieben auf der ganzen Welt nur etwa 3000 -10.000 Menschen übrig (Stichwort genetic bottleneck). Kann jederzeit wieder passieren.

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Die Entwicklung vom Jäger zum Bauern war keine Einbahnstraße.
Viele Gesellschaften wechselten immer wieder mal hin und her.
Dazu das neueste Buch von David Graeber und David Wengrow:
The Dawn of Everything: A New History of Humanity
Hoch interessant.

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Ich finde die Quellenangaben sehr interessant und wenn man sich damit beschäftigt kann man sich wirklich viel Wissen aneignen. Ein sehr guter Bericht der mich sehr interessiert hat.

Mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Industrialisierung nimmt die Ausbeutung unserer Erde ihren Lauf. Bis heute hat sich da nichts geändert. Es geht nur immer schneller.

LG Michael

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Sehr interessante Übersicht. Ist an sich schon verrückt sich bewusst zu machen, wie lange wir als Spezies in einem gewissen Gleichgewicht mit unserer Umgebung existiert haben. Wenn wir uns das heute anschauen, spricht in meinen Augen vieles dafür, dass wir als ganze Spezies in der Regel unser Verhalten nur ändern, wenn wir durch geänderte (natürliche) Rahmenbedingungen dazu gezwungen werden.

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