Ambra - eine mythische Substanz

Liebe Hive Community,
Pottwale, die mit über 20m Länge größten Zahnwale, sind in vielerlei Hinsicht interessante Geschöpfe. Vieles an ihnen ist noch ungeklärt, zum Beispiel die Rolle des sog. Spermaceti-Organs in ihrem Kopf, aus dem Walrat gewonnen wurde. Neben dem Walrat und dem Blubber (der Speckschicht) wurden Pottwale früher auch vor allem wegen der mitunter in ihrem Darm gefundenen Ambra (engl. ambergris) gejagt, einer der kuriosesten Substanzen überhaupt, die zu manchen Zeiten weit mehr als Gold wert war.

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Quelle

Entstehung

Die Ambra (oder der Amber) ist eine Substanz aus dem Darm von Pottwalen. Darin eingebettet findet man unverdauliche Nahrungsteile wie Schnäbel, Kiefer oder Schulpe von Tintenfischen. Bis zu 400kg Ambra können in einem Wal sein. Man weiß nicht, warum es sich bildet. Ist es eine Krankheit des Pottwals, wenn er Ambra bildet? Immerhin sterben manche Tiere durch sehr große Ambramengen an Darmverschluß. Oder wird Ambra gebildet, um die Tintenfischschnäbel sozusagen "einzupacken", damit sie die empfindlichen Darmwände nicht verletzen können? Oder als Wundverschluss nach Verletzungen der Darmwand?

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Detail eines Ambrastückes mit herausgewittertem Tintenfischschnabel Quelle

Wenn ein Pottwal eine Tonne Tintenfische pro Tag frisst, kommen einige Tintenfischschnäbel zusammen. 1993 wurde in den Mägen von 17 Pottwalen die Reste von knapp 29.000 Tintenfischen gefunden (1). Die meisten Schnäbel und Schulpe werden regelmäßig, alle paar Tage vom Magen (ein Pottwal hat übrigens 4 Mägen) zurück ins Meer ausgespieen (ähnlich dem Gewölle von Vögeln) - das ist keine Ambra (auch wenn Ambra als "Walkotze" oft, auch bei Wikipedia, fälschlicherweise so beschrieben ist). Nur wenn (durch ein Versehen?) ein Teil der Schnabelmasse weiter in den Darm wandert, kann Ambra entstehen. Nur bei 1% aller Pottwale, so schätzt man, kommt das vor (1). Daher auch die Seltenheit.
Im Darm bildet sich langsam, über Jahre eine immer größere, zementartige Masse aus den Tintenfischresten und Darminhalt, die mit der Zeit den Darm zu verschließen droht.
Ins Meer gelangt die Substanz über Kot, oder wenn der Wal es nicht geschafft hat, die Ambra als Kot auszuscheiden und er an einer finalen Darmruptur gestorben ist (1). Frische Ambra ist weich und riecht abstoßend. Da sie leichter als Wasser ist, findet man sie als Klumpen von bis zu 10kg (manchmal auch >100kg), auf dem Meer treibend, selten auch als Strandgut. Bis dahin kann sie aber Jahrzehnte auf dem Meer treiben und entwickelt so über die Jahre unter dem Einfluß von Luft, Licht und Salzwasser eine feste Konsistenz und einen sehr angenehmen Duft. Je länger Ambra an der Meeresoberfläche getrieben hat, desto weniger Wassergehalt, und desto fester wird sie. Auch die Oberflächenstruktur und -farbe können sehr verschieden sein, teils mit einer wachsartige Schicht, oft (hell)grau bis dunkelbraun, oft gefleckt. Je heller, desto wertvoller. Mehr über die verschiedenen Ausprägungsformen hier: (2).

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Quelle

Der Duft Ambras wird als süß, erdartig, nussig, balsamisch, nach Meer, Leder oder Heu riechend, tabakartig oder "aphrodisierend" und "mystisch" beschrieben. Da die meisten noch nie reine Ambra gerochen haben und unser Geruch sehr "assoziativ" funktioniert, ist schwer zu sagen, wie man darauf reagieren würde. Auch kann der Geruch variieren - jedes Stück ist einzigartig! Und es macht nochmal einen großen Unterschied, ob man am Klumpen selbst riecht, oder an der Haut, wo der Duft von Ambra extrem "anziehend" sein soll.

Da Pottwale "Kosmopoliten" sind, kann Ambra an so gut wie allen Stränden auf der Welt und im Meer gefunden werden.
Traurig: Durch die Umweltverschmutzung findet man zunehmend auch Einschlüsse von Plastik in Ambra (7).

Verwendung & Handel

Der erste Gebrauch ist in Asien schon vor Christi Geburt beschrieben, als Duft- und Räucherstoff, seither wird Ambra in vielen Kulturen verwendet, in Ritualen, religiösen Zeremonien, als Gewürz- und Heilmittel, als Aphrodisiakum und - vor allem - in der Herstellung exklusiver Parfüms.
Aufgrund seiner Seltenheit erzielte es stets hohe Preise. Im 15. Jhd wurde Ambra in Europa mit Gold aufgewogen. Im Marokko des 16. Jhd war der der Preis für ein Pfund Ambra bei 60 Dukaten (ein Kamel war 50 Dukaten wert) (3). Heutzutage werden kg-Preise von bis zu 80.000€ angegeben (4), oder - je nach Qualität - auch über 100.000€ (3)! Legal sind solche Verkäufe aber nicht, da es ein generelles Handelsverbot für Pottwalprodukte gibt (Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen).
Obwohl durch den Ambra-Handel im Prinzip kein Pottwal zu schaden kommen sollte, sind auch deren Aussscheidungsprodukte geschützt, denn Ambrabrocken in lebenden bzw. frisch verendeten Pottwalen erzielen offensichtlich auch stattliche Preise (z.B. 6000€/kg bei einem 2012 vor Holland angespülten Pottwalkadaver), und das obwohl durch die fehlende jahrelange Reifung im Meer das Produkt noch nicht vollständig sein kann.

Offiziell wird Ambra daher heute gar kein Wert mehr beigemessen. Wieviel am Schwarzmarkt immer noch umgeschlagen wird, darüber kann nur spekuliert werden. Angeblich wird es im Orient heute noch als Aphrodisiakum geschätzt. Und ein Teil der am Schwarzmarkt verkauften Menge geht sicher in die traditionelle chinesische Medizin. In unterentwickelten Regionen der Erde sind Verbote gegen das Artenschutzabkommen kaum durchsetzbar (6).
Es gibt auch eine Webseite (7), bei der man Amber für 35$/g (halb soviel wie Gold!) kaufen kann. Sie ist (wenig überraschend) offline.

In der Parfumherstellung wurde es durch synthetische Varianten weitgehend (oder vollständig?) verdrängt, weil diese weit billiger (und legal) zu erwerben sind. In den späten 1940er Jahren z.B. revolutionierte der Schweizer Chemiker Max Atoll die Parfumindustrie durch Erfindung des "Ambrox", einer künstlichen Ambra.

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Quelle

Aber manche denken, in sehr kostbaren Parfums wird Ambra dennoch, für die Charakterisierung der Basisnote (5), verwendet (auch wenn es nicht zugegeben wird und Händler ihre Kunden nicht nennen), auch weil der synthetische Nachbau nicht 100% überzeugend ist. Die Parfum Community ist gespalten und der Kenner Christopher Kemp sagt zu den Imitaten: “It’s like watching a Beatles cover band instead of the real thing”. Er glaubt, dass in einigen Chanel-Parfums Spuren echter Ambra enthalten ist. Andere bezweifeln das und meinen, dass die Lieferwege zu unzuverlässig sind für eine Verwendung im großen Maßstab.

Ambra selbst gefunden?

Falls Du mal am Strand beim "Beachcombing" (Tipps dazu hier) einen ungewöhnlichen Klumpen finden solltest, mache den "Heiße Nadel"-Test. Ambra schmilzt, wenn eine stark erhitzte Nadel hineingestochen wird unter Ausströmung eines weissen Rauchs (dieser Test aber auch nicht 100% zuverlässig). Diese Internetseite bietet an, eine Probe Deines Fundes zu testen.

Die meisten Zeitungsmeldungen, die spektakuläre Ambrafunde berichten, wie z.B. hier (8), stellen sich übrigens als Falschmeldungen heraus - Ambra kann leicht mit Paraffinresten, verwittertem Baumharz oder verfestigtem Fett verwechselt werden! Hier sind viele Beispiele von "Fake-Ambra" zu sehen.

Falls sich Dein Klumpen tatsächlich als Ambra erwiesen hat, achte darauf, sie nicht in einem Plastiksack oder sonstwie unter Luftabschluss zu lagern, da Ambra Luftzirkulation braucht (sie kann sonst verschimmeln). Am besten in einer Baumwolltasche aufbewahren. Auch vor dem Zugriff von Tieren (Hunden etc.) schützen, die sind verrückt danach!

Es gibt heute noch viele Menschen, die tagaus, tagein Strände nach diesem "treibenden Gold" absuchen, auf der Suche nach Walscheiße, die vor Jahrzehnten irgendein Wal irgendwo auf der Welt ausgeschieden hat! Um Kemp nocheinmal zu ziteren: "Nothing beats the randomness of that."

Quellen:

(1) https://press.uchicago.edu/books/excerpt/2012/kemp_floating.html
(2) https://www.ambergris.co.nz/identification
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Ambra
(4) https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2017/09/29/durfen-glucklichen-finder-ihren-mallorca/54606.html
(5) http://www.perfumeplanet.net/ambra/
(6) https://de.whales.org/wp-content/uploads/sites/4/2018/06/wal-im-ausverkauf.pdf
(7) https://www.ambergris.co.nz/buy-ambergris
(8) https://edition.mv/news/8364
(9) https://www.atlasobscura.com/articles/in-search-of-ambergris-a-highly-prized-slurry-of-squid-beaks-and-whale-feces

Lesetipp:
Christopher Kemp: Floating Gold, University of Chicago Pr. (2012)
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Quelle



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11 comments
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Danke für diesen super Beitrag. Man hat davon schon gehört, sich aber sicherlich nicht bisher freiwillig mit Walscheiße befasst. Umso interessanter, dass man dort seine Wissenslücke hat schließen dürfen. Man weiß ja nie, wann man dies irgendwann doch mal braucht. Beim nächsten Strandbesuch, wird man nun wohl doch ein wenig mehr Ausschau halten ;)

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....auf der Suche nach Walscheiße, die vor Jahrzehnten irgendein Wal irgendwo auf der Welt ausgeschieden hat! Um Kemp nocheinmal zu ziteren: "Nothing beats the randomness of that."

Hahaha du sagst es...
Wusste bis heute nichts von Ambra...vielen Dank ;)

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Wieder was gelernt. Danke. 🤔

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Vielen Dank für deinen interessanten Beitrag. Tatsächlich habe ich immer geglaubt, es sei "Walkotze".
Ich werde meinen Hund ab dem nächsten Nordsee-Urlaub an jeden Stein am Strand riechen lassen. ^^

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Heftig!

Liebe Grüße Michael

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