Gehört die Zukunft den Analogrechnern?

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Liebe Steemianer,
vorab, da ich kein IT-Experte bin, bitte um Verzeihung für eventuelle Ungenauigkeiten oder Fehler. Würde mich über Ergänzungen oder eigene Erfahrungen freuen!

Was ist ein Analogrechner?

Analog kommt vom griech. analogon und bedeutet "Modell"(1). Und genau das macht ein Analogrechner. In ihm ist das Modell des spezifischen Problems sozusagen fix verdrahtet als Simulation und er berechnet diese Simulation. Diese Herangehensweise ist völlig anders ist als die der gängigen Digitalrechner (die in jedem PC und Smartphone zu finden sind), da kein Programm, keine Software vorhanden ist, die erst in den Arbeitsspeicher geladen werden muss. Stattdessen programmiert man Änderungen, indem man die Verbindungen der einzelnen Elemente umkonfiguriert. Alle Teile laufen in Echtzeit und komplett parallel, da es keine zentralen Memory-Einheiten gibt und keine Variablen, die erst mal eingelesen und berechnet werden müssen. Die Ergebnisse von Analogrechnern werden prinzipiell konstant und in Echtzeit angezeigt.

Der Mechanismus von Antikythera (ca. 150 v. Chr.) ist einer der ältesten Analogrechner:
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Quelle

Andere Beispiele sind Rechenschieber (2) und - das menschliche Gehirn. Ja, das Gehirn ist ein ultrakomplexer Analogrechner und die Simulation, die auf unserem Gehirn läuft, hat unser Bewußtsein, unseren Gedankenstrom und auch den visuellen Output (=das was wir sehen) als Ergebnis (neben vielen, vielen anderen unbewussten Vorgängen).

Während die ersten Analogrechner alle mechanisch waren...
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"Old Brass Brians" wurde benutzt, um Gezeiten zu berechnen und wurde erst 1965 ausgemustert Quelle

...wurden sie seit den 1940er-Jahren zunehmend elektrisch betrieben.

Typische Analogrechner können z.B. so aussehen:
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Quelle

Bis in die 1970er Jahre waren Analogrechner weit verbreitet zur Berechnung bestimmter, meist technischer (Berechnung von Gezeiten, Lösung von (nicht)linearen Differentialgleichungen) oder militärischer (z.B. Berechnung ballistischer Flugbahnen) Probleme, bevor sie dann Mitte der 1980er Jahre schrittweise von den Digitalrechnern abgelöst wurden, aufgrund deren Vielseitigkeit, der Möglichkeit, sie einfach umzuprogrammieren und wegen der weit besseren Skalierbarkeit.

Seit Anfang der 70er Jahre experimentierte man auch mit Hybridrechnern, die einzelne Komponenten digital hatten, andere analog für bestimmte zeitkritische bzw. Echtzeitberechnungen. Verwendet wurden sie im Apollo-Programm, im Ariane-Programm der ESA und auch bei Airbus und Concorde.

Heutzutage lässt sich das manuelle An- und Umstecken der vielen Kabel auch weitgehend ersparen, indem man Teile der Analogrechner auf Digitalrechnern simuliert. Einige Universitäten forschen und lehren zum Thema Analogcomputer und in letzter Zeit zeigte sich für Analogcomputer, die schon fast totgeglaubt waren, wieder verstärktes Interesse, zum Beispiel in Zusammenhang mit der Abbildung von neuronalen Netzen auf analogen Bauteilen (8). Manche rufen neuerdings sogar aus "Die Zukunft der Künstlichen Intelligenz ist analog"(9)!
Woher kommt dieses Revival?

Vorteile von Analogrechnern

Analogrechner haben eine immense Rechenleistung, d.h. sie sind schnell, bei wesentlich geringerem Stromverbrauch. Ihre Rechengenauigkeit ist zwar begrenzt, aber meist ausreichend.
Der derzeit (Stand: Nov. 2019) weltweit mächtigste Digitalrechner ist der "Summit" am Oak Ridge National Laboratory in den USA, der sagenhafte 122 PetaFLOPS (10 hoch 15 Gleitkommaoperationen pro Sekunde) schafft. Aber er hat auch einen Stromverbrauch von 13 Megawatt (4). Im Vergleich dazu schafft unser Gehirn immerhin 10 hoch 13 Rechenoperationen pro Sekunde (manche sagen 10 hoch 15) bei nur ca. 20W Verbrauch (5), weniger als eine Glühbirne. Möglich wird das durch die extrem hohe Parallelität der Aktivitäten im Gehirn. Kein Programm muss erst in den Arbeitsspeicher geladen werden, Instruktionen dekodiert, berechnet, in Ausgabeeinheiten gespeichert werden, etc. was alles Zeit und Energie verbraucht. Schon 2005 beschrieb Glenn E. R. Cowan at al. den "Very-Large-Scale-Integrated Analog Computer (VLSI)", einen Analogrechner auf einem Chip, der 21 gigaFLOPS pro Watt(!) für bestimmte Differentialrechnungen schaffte - effizienter als sogar das heute (14 Jahre später) energieeffizienteste Digitalrechnersystem (7).

Gerade wenn man Strom sparen will, wären Analogrechner ein sehr gutes Mittel dazu. Durch die enorme Hitzeentwicklung bei leistungsfähigen Chips stoßen Digitalrechner zunehmend an ihre Grenzen (8,10). In medizinischen Anwendungen, wo man nur minimale Energiemengen zur Verfügung hat (z.B. bei implantierten Steuerungsgeräten), wären Analogrechner im Vorteil. Zumindest analoge Bauteile, die bestimmte zeitraubende Berechnungen übernehmen, könnten moderne Hybridrechner sehr effizient machen. Daher arbeitet man zurzeit auch an der Verbesserung der analog-to-digital converters (ADCs). Apropos zeitraubende Berechnungen. Bitcoin zu minen durch effiziente Analogrechner geht angeblich leider nicht, weil die zu berechnenden Hash-Funktionen rein digitale Probleme sind (11).

Die Herausforderungen

Leider gibt es auch Hürden. Die größte ist zweifellos, dass es komplett andere Skills benötigt, um analoge Rechner zu programmieren. Die Studenten an den Unis lernen heute nicht im Geringsten, wie das zu tun sei (1). Die technischen Hürden (wie man analoge Prozesse miniaturisiert, wie man die Rechengenauigkeit verbessert oder wie man am besten die Aufgaben verteilt unter den analogen und digitalen Teilen) scheinen neben denen der Ausbildung im Hintergrund zu stehen. Ohne "Programm" nützen einem die besten Programmiersprachenkenntnisse wenig.

Zurzeit befinden wir uns in einer interessanten Periode. Die AI-Forschung scheint irgendwie steckengeblieben zu sein (12). Seit Jahren gehypt, hat sich in letzter Zeit aber nicht wirklich etwas getan. Ob es neben den exorbitant steigenden Kosten auch zum Teil an der suboptimalen Rechnerarchitektur liegt? Sollte man sich das Gehirn nicht noch einmal näher ansehen und statt virtueller neuronaler Netze tatsächlich parallel, weil analog arbeitende neuronale Netze bauen?

Quellen:
(1) https://blog.degruyter.com/algorithms-suck-analog-computers-future/
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Analogrechner
(3) https://www.top500.org/lists/2019/11/
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Summit_(Supercomputer)
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Gehirn#Vergleich_mit_Computern
(6) https://ieeexplore.ieee.org/document/1564344?arnumber=1564344
(7) https://www.top500.org/green500/
(8) https://spectrum.ieee.org/computing/hardware/not-your-fathers-analog-computer
(9) https://platonite.com/the-future-of-ai-is-analog/
(10) https://semiengineering.com/using-analog-for-ai/
(11) https://news.ycombinator.com/item?id=15859871
(12) https://www.netzpiloten.de/kuenstliche-intelligenz-2019-sackgasse/



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11 comments
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Ein sehr interessanter Bericht. Konnte ich als Fachinformatiker sogar noch für mich interessante Erkenntnisse gewinnenn. Liebe Grüße Michael !invest_vote

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Freut mich! Danke!

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Alles nur abgeschrieben von den Quellen!! Super Beitrag!!
Dafür gibt es 100% Upvote, lieber Sheriff!!

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(Edited)

Und ja ich bin richtig sauer auf dich!!!
So wie du unterwegs bist, spielst den großen Patrioten dabei schreibst keine eigenen posts , nicht einmal eigene Bilder machst du zu deinen Beitragen!

Aber heute hast du ja dein echtes Gesicht gezeigt!!
Wünsch dir noch alles gute auf Steemit, und wünsche dir das du dein kleines Invest wieder raus bekommst!

Prostit 2020!

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Hammer Artikel, wirklich! Über den Sinn analoger Rechner habe ich noch nie nachgedacht, das ist auf jeden Fall interessant. Wenn du das so anschreibst, macht es (so weit ich das verstehe) Sinn, wenn einige Komponenten die heute digital sind, wieder analog oder hybrid werden sollten, und somit effizienter sind. (naja... man beachte auch das CO²)

[Ohweh, wie verkauft sich dann die weitere Digitalisierung?] Anadig? Lass das mal den Öttinger sagen. (Gut, weiß nicht ob der noch damit zu tun hat)

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